Ohne Stille: nichts zu hören



Manche Banalitäten muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Je größer der Lärm, desto weniger hört man. Und noch genauer: Je größer der Lärm in mir, desto weniger höre ich. Kann ich, darf ich, sollte ich den Satz umkehren: Je weniger Lärm in mir, desto mehr höre ich? Ja, so ist es. Und er lässt sich zuspitzen: Erst in der Stille höre ich wirklich.

Was fange ich mit dieser Erkenntnis an? Es könnte mir beispielsweise auffallen, dass es in mir lärmt. „Es“ – das sind die Erinnerungen, Einschätzungen, Befürchtungen, Bewertungen, Sorgen, Ängste, Hoffnungen, Begehrlichkeiten und Begehren und so viel mehr. Sie sind wie durcheinanderschreiende Kinder an einem Kindergeburtstag: Jedes Kind für sich ist ernstzunehmen, aber als Teil des Geschreis schwer auszuhalten. Von der Wahrnehmung dieses Chaosgetöns in mir ist es nicht weit zur Wahrnehmung, dass es wenige, seltene Momente gibt, in denen Stille einkehrt (oder wenigstens der Lärm nachlässt) und ich plötzlich die Uhr ticken höre oder meine Freude oder meine Trauer oder meine Angst tatsächlich vernehme – eben eines dieser durcheinanderschreienden Kinder. Auf einmal höre ich.

Und wenn ich einmal verstanden habe, dass ich ohne Stille nicht ernstlich hören kann, dann wird die Sehnsucht nach Stille in mir aufkeimen und ich werde Sekunden, Minuten und vielleicht sogar Stunden der Stille für mich erobern, neue Ufer eines neuen Seins. Dann werde ich vielleicht auch bemerken, dass sich’s nur in der Stille zu lauschen lohnt, um vielleicht etwas bislang Ungehörtes zu hören. Dass dort, auf der anderen Seite des Alltagsflusses, nicht nur die kleinen, aber lauten Persönchen im Kindergarten meiner großen Persona zu hören sind, sondern auch andere, machtvollere, ernsterzunehmende Stimmen. Ja, mit viel Glück erlebe ich es dann, dass erst in der Stille die Stille zu hören ist. Und dann: die Stille hinter der Stille.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Matthieu Ricard