Täuschende Töne



Hätten wir keine Ohren, könnten wir nichts hören (dass man aber auch taub mehr hören kann als viele Menschen zusammen, bewies Beethoven).  Unsere Sinnesorgane weiten also unseren Wahrnehmungshorizont. Doch wenn wir der Illusion erliegen – und das tun wir meistens –

dass die Welt da draußen völler Töne sei, verwandelt sich unser Hörorgan in ein Täuschungsorgan. Beinahe alles da draußen ist nämlich tonlos. Die Grashalme und Gänseblümchen, die Haselsträucher und Eschen wachsen still vor sich hin, wir hören sie nicht, es sei denn, der Wind streicht wie ein Harfenspieler über ihre grünen Saiten. Jeder Kiesel ist tonlos, jeder Stein, jedes Sand- und Staubkörchen, jede Straßenlaterne, jedes Haus, jedes Buch, jede Tastatur und jeder dieser Buchstaben.

Man könnte das als Mangel erfahren, doch tatsächlich ist jede dieser einzelnen Tonlosigkeiten eine Chance, die Stille zu erfahren. Wechselt unser Bewusstsein in die Stillewahrnehmung der Dinge, dann finden wir auch einen Zugang zur Stille in uns. Das Blut rauscht nicht in unseren Adern. Und meist pocht auch unser Herz still, leise und tapfer vor sich hin. Und auch unsere Gedanken, so laut sie uns manchmal erscheinen, tauchen still in uns auf und kehren zurück in die Stille, aus der sie kamen. Und hinter ihnen liegt die Stille unserer Seele und dahinter – nun, die Stille des Universums, und dahinter … ?

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