Egolos - ichfrei statt ichlos
Die Verwechslung der Begriffe erzeugt Missverständnisse
Weil der spirituelle Jargon psychophilosophische
Begriffe adaptiert, ohne sie eindeutig zu definieren und dadurch klar
genug voneinander abzugrenzen, entsteht das Paradoxon, dass es
Erleuchtung einerseits sehr wohl gibt UND zugleich gar nicht geben
kann!
von der Liga der Leeren (Gründungsmanifest 09/2014)
Das ewige Lieblingsthema von esoterischen Gurus und
spirituellen Lehrern ist die "erleuchtete" Überwindung von allzu
starren, festen Selbst-Bildern durch Auflösung des
Selbst-Verständnisses in einen "kosmisch" flexiblen
Bewusstseinszustand. Die Öffnung des Egos für seine innerste Leere wird
dabei fahrlässig gleichgesetzt mit dem Verlust der Ich-Identität. In
den verschiedenen Anleitungen zum "Erwachen" purzeln die zentralen
Begriffe EGO, SELBST, SEELE, MITTE, GOTT und ICH munter durcheinander,
jeder benutzt sie nach eigenem Gutdünken. Dadurch
entsteht nicht nur Verwirrung beim Lesen der unterschiedlichen
Ansätze, sondern auch unnötiger Streit zwischen den einzelnen Lehrern
und Schulen, denn alle möchten die Wahrheit für sich pachten,
indem sie die metaphysischen Wörter wie ihren Eigentum behandeln.
Windstille Mitte
So kommt es dann, dass einer sagt, dass das Selbst sehr wohl
existiere und meint damit die Emotionen des Egos. Der andere glaubt,
dass das Ich eine Illusion sei und meint damit das Selbst. Und
ein dritter behauptet, das Ich als Identität verschwände, wenn sich
das Ego auflöse, und meint damit gar nicht das Ich an sich sondern das
Festhalten an einem bestimmten Ich-Bild. Jean Gebser
unterschied darum (in seinem Hauptwerk 'Ursprung und Gegenwart') die
präpersonale Ichlosigkeit von der transpersonalen, integralen
Ichfreiheit. Das "freie" Ich ist hierbei nicht von sich selbst
befreit sondern vom Fixiertsein auf seine egozentrischen
Projektionen. Durch das Loslassen vom festgefahrenen Ich kehrt das
Bewusstsein zurück in die windstille Mitte des psychischen Orkans und
erlebt sich daher als entleert vom Ich als einer zwanghaft
symbolischen Selbst-Darstellung. Dieses Leersein als nackte
Selbst-Wahrnehmung erlaubt einen neuen, "befreiten" Umgang mit den
Gefühlen
und Gedanken des Ichs, die nun nicht mehr als Selbst-sicheres Ego
humorlosen Druck auf ihre Umwelt ausüben, sondern entdeckt werden als
das, was sie sind: ein neurotisches Potenzial, das mit der
nötigen Selbst-Ironie relativiert werden kann.
Ozeanische Bewusstheit
Das "absolute" Selbst ist nur noch die leere Mitte, um die sich alle
Ich-Bilder wie ein Kopfkino ansiedeln. Die Person IST jetzt ein
spiritueller Hohlraum mit unendlichen Teilpersönlichkeiten und
"spielt" nur noch die Identität, weil sie sich nicht mehr identisch
fühlt mit einzelnen Projektionen. Der Tropfen BEWAHRT seine Form im
Ozean (ein Koan!), aber er konzentriert sich nicht mehr auf
seine Form. Die ozeanische Bewusstheit verleugnet den einzelnen
Tropfen nicht, denn in Wahrheit BESTEHT der Ozean aus seinen unendlich
vielen Tropfen. Das ist kein Paradoxon, es ist komplementär
wie das Yinyang im Tao: der Kreis ist die Form, die beim Kreisen der
ineinander verschränkten Tropfen entsteht, das Nonduale ist lediglich
das RUHEN in dieser runden Form, während die Tropfen
sich rastlos im Fluss der Ereignisse kreisförmig drehen. Wer sich
mit einem bestimmten Tropfen identifiziert, dreht sich im Kreise,
besonders wenn er als Tropfen (Ich) die Form des Kreises selbst
HABEN möchte. Die Sehnsucht nach dem Absoluten, also der leeren
Kreisform, führt zu einer inflationären Dissoziation, bis das Ich sich
als pseudoerleuchtetes Meta-Ich aufbläht und sich einbildet,
rund zu sein. Hier beginnt der unsinnliche, körperlose Größenwahn
mancher Gurus, die ihre eigenen Existenzängste verdrängen.
Leere Liebe
Die Heimkehr ins tatsächlich ichfreie Körperbewusstsein dagegen
erlaubt es, das sinnliche Leben ekstatisch zu zelebrieren, ohne sich von
den Sinnen neurotisch "verführen" zu lassen. Doch diese
Ankunft in der authentischen, echten Wirklichkeit scheint das viel
größere Problem für das verängstigte Ich zu sein, das oftmals erst
enttraumatisiert werden muß, um sich die Rückkehr in seine
eigene Mitte zu trauen. Denn Ankommen im bildlosen, "offenen" Selbst
heißt eben auch Loslassen vom Ich, das sich mit Selbst-Bildern vor
Schmerzen und neuen Enttäuschungen schützt. Der
therapeutische Effekt im Moment dieser Ankunft in der ureigenen
Stille als Urruhe, Leere, oder wie immer man es nennen mag, dieser
Effekt führt oft zu Tränen der Erleichterung (enlightenment),
die so überwältigend sind, dass es als wahre Erleuchtung und
Aufwachen aus einer Hypnose empfunden wird. Das Ergebnis des
therapeutischen Prozesses hingegen ist trivial, nur der Weg dorthin ist
beschwerlich. Je größer die Angst vor dem Sprung in die Leere war,
desto
großartiger fühlt sich die "große Befreiung" dann an. Das Ergebnis
ist trotzdem trivial und erzeugt das genaue Gegenteil
vom Größenwahn des Meta-Ichs: Demut und Dankbarkeit. Vielleicht
reden sehr viele Lehrer deshalb von einer Art "göttlichen Liebe", weil
ja die Selbst-Liebe verschüttet war und nun als Liebe des
leeren Selbst zum ganzen Leben wiederentdeckt wird.Gesichtsloser Seinsschock
Leider erzeugt aber das Wort "Liebe" genau so wie "Frieden" und
"Energie" oder "Buddhafeld" das gemeine Missverständnis, dass man in der
windstillen Mitte solch eine Qualität wie ein Objekt
auffinden und besitzen könne. Die echte, erfahrbare Mitte ist aber
absolut LEER, das ist das zenistische Geheimnis des Ganzen!
Traditionelle Religionen und sektiererische Ersatzreligionen, die
ihre Schäfchen mit dem Versprechen schröpfen, am Ende des steinigen
Weges erführe man diese Liebe und überirdisches Licht als elitäre
Segnung, verheimlichen das wahre Gesicht der Erleuchtung: die
Gesichtslosigkeit. Denn am Ende ist niemand mehr da, um die
Erleuchtung zu feiern. Die Suche nach einer letzten, unglaublich großen,
entscheidenden Erleuchtung entpuppt sich als Sehnsucht des
eingeschüchterten Egos, sich selbst zu überwinden. Wenn es das
schafft, gibt es kein Ego mehr, um darauf stolz zu sein. Die heiß und
innig ersehnte Erleuchtung ist nur was für Unerleuchtete. Wer
NACH seiner eigenen Befreiung noch vorsätzlich vortäuscht, man müsse
mehrere Leben lang meditieren und darüber hinaus eine Psychoanalyse
absolvieren, um sich nicht selbst zu blockieren, verrät
seinen narzisstischen, antihumanistischen Charakterpanzer, der das
Phänomen des Erwachens als teures Konsumprodukt vermarkten will. Dass
sich ein ehmaliger Schüler vom Guru distanziert, sobald
wirklich Erleuchtung eintritt, erscheint uns nur allzu gesund und
verständlich. Kein Erleuchteter mag die Gesellschaft eingebildeter
"Erleuchteter". Er lebt einfach sein Leben – in den Augen der
Seinsschock, auf den Lippen ein Schmunzeln.
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